Licht und Raum

Dirk Tölke 2021

Die neuen Arbeiten von Claudia Maas assoziieren Landschaften. In ihnen stieben Linien und lasierende Pinselzüge in irrealen Farben und bilden Elemente-Zonen. Sie bieten horizontartige Schwerkraftverteilung mit einem Unten und Oben, teilen Himmel, Erde und Wasser farblich und strukturell. Leerstehende Architekturen verfestigen die verflächtigten Linienballungen zu Räumen. Es handelt sich mehr um ungenutzte Relikte und unbeendete Rohbauten, als um „Lost Places“. Nichts buhlt an diesen nüchternen Gehäusen um Charme.

Es geht um Raumbildung. Rudimentäre und nicht linealgetreue Waagerechten und Senkrechten bilden eingestellte Gitter, Lattengerüste oder Tribünenanmutungen. Selbst diese fahrig addierten Strukturen gewinnen nur eingetrübte Gegenständlichkeit. Im schattenarmen Licht verdunkelter Glut und ausgeblichener Überstrahlung entstehen geheimnisvolle Neutralräume voller glaubhafter Strukturen ohne Binnenbezug. Solche bestimmen den Blick der Künstlerin schon länger.

Der Empfindungsraum ist ein Thema, das sie seit 1996 am leiblichen Menschen, am Raum des Körpers, nicht als Volumen, sondern als Stätte und Ort des Empfindens festgemacht und malerisch wie zeichnerisch ausgelotet hat. Darin werden innere und äußere Erscheinungen zusammengedacht: Empfindung mit Mimik, Gestik und Gebärde, Psychosomatik mit Physiognomie.

In den neuen Bildern nun verbinden sich adäquat innere und äußere Landschaften in Licht, Farbe und Raumbildung. Das Empfinden erfährt als farbige Struktur jenseits der Lokalfarbigkeit und des Illusionismus eine Aufladung, die weder sachlich und blutleer, noch rein kompositionsharmonisch oder surreal verfremdet ist. Dazu kommt ein Tiefenzug und ein Bewegungsimpuls, die die tiefenräumliche Erstreckung des Bildraumes betonen. Die Kompaktheit und Dichte der Räume wird durch Lichtinszenierungen aufgedehnt und mit Weite gefüllt. Hier wird nichts beleuchtet, sondern nur von Streulicht erfüllt, bisweilen von Schattenwürfen und Tarnnetzmustern befremdlich durchzogen. Der Titel „Refugio“ verweist auf ein Refugium, einen Schutzraum für Gedankenströme. Rückzugsräume roher Behausungen, eingebettet in freier Natur erlebte die Künstlerin ganz real in Griechenland. Orte mit prächtiger Landschaftskulisse weisen einzeln stehende, unfertige Gebäude auf, die den Einheimischen im Bauprozess pragmatisch als Schutzraum dienen, mitunter vorläufiger Unterstand sind. Im nicht terminierten Projektstadium erscheinen sie unbehaust, als Müllabladeplatz verwahrlost, werden nicht als ästhetisch integriert wahrgenommen. Die Künstlerin hingegen nimmt im halbfertig Abgebrochenen, im sichtbar Vergänglichen noch lebendig spürbare Geschichte wahr, zugleich ein metaphorisches Bild für einen unabgeschlossenen Prozess, den sie visuell umzusetzen versucht. In einer als Schule gedachten Räumlichkeit lagerte Weihnachtsbeleuchtung. Bizarrerie und lineare Gestrüppstruktur mit reflektierend indirekter Durchlichtung verleiteten die Künstlerin zunächst zu Fotos der Innenräume. Collagen von gespiegelten und fragmentierten Fotosegmenten überarbeitete sie mit Acrylfarben. Sie wiesen den Weg zur Isolation rhythmisiert verzahnter Strichelagen ohne kalligraphische Strenge. Diese frei vernetzten Gliederungen verselbstständigten sich später durch Farblicht und lineare Erstreckungstexturen zu suggerierten Räumen, in die dann Menschgemachtes eingebunden wurde. Aus freier Struktur in Raumgebilden wurden so Raumgebilde in freier Struktur. Es sind innere und äußere Landschaften, offen zusammengeführt, Bildräume, in denen Strukturen frei obwalten und Linien Richtungen bündeln und verdichten, dabei Muster und Ornament vermeidend.

Den Weg zu dieser Art Reduktion und Koppelung weisen auch kleinere Tafelbilder die locker angelegte Schraffurszenarien mit unscheinbaren geometrischen und bedeutungsarmen Gebilden koppeln, die nicht zum Objekt werden. Sie kippen optisch uneindeutig von vorn nach hinten, schaffen aber scheinbar Orientierung, bilden Raum, der sich aber wieder in Fluktuation verliert. Was hier freskant, zerflockt und fahl verstriffen wirkt, organisiert sich aus Gemengelagen von Linien und Flächen in den Gemälden zu Bühnenbildarrealen, in denen Festigkeit aber weiter suggestiv bleibt. Diese Räume für Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Träumen sind malerisch Spielorte des Lichts in Grundfarbenakkorden, die der klassischen Moderne nicht ins Plakative folgen mögen. Eine bei allem dunklen Dräuen angstfreie Farbigkeit, die kommen lässt und selbst nicht um Aufmerksamkeit heischt, bindet die Empfindungen ein. Diesbezüglich dominiert in dieser Malerei eine innere Unruhe. Die durchgehend und fortlaufend strömenden Bildmittel lassen an einem unabgeschlossenen Prozess teilhaben. Zudem dringt der unnatürliche Zustand der Welt durch, nicht dystopisch, aber ungesund und gefährdet. Ein karglebendiger Zustand von Landschaft als unklarer Verlauf gesehen und empfunden, kompaktiert und dargestellt. Eine anmutige Rohform von Landschaft.